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Christoph Dohr

aktualisiert
Freitag, 13.12.2024 12:34

I063

1935 | Cembalo einmanualig Hans Eberhard Hoesch #26[?] (Hagen-Kabel) [Kopie nach Quartcembalo Andreas Ruckers (Antwerpen), 1627]

  • Signatur hsl. auf Resonanzbodenunterseite: "Hans Hoesch / Okt. 1935"; keine weiteren Hinweise auf Erbauer, keine Nummer im Instrument.
  • Breite: 695 mm
  • Länge: 1230 mm
  • Korpushöhe: 205 mm (inkl. Deckel)
  • Gesamthöhe inkl. Untergestell: 855 mm
  • eigenständiges Untergestell mit der Nummer "26", bestehend aus Unterrahmen, drei je in sich V-förmig "gespaltenen" Beinen und Oberrahmen, zerlegbar, auf das das Cembalo aufgelegt und festgekeilt wird; die jeweilige Selbstständigkeit von Untergestell und Cembalo ist als Reminiszenz an die Entstehungszeit des Originalinstrumentes zu verstehen; innerhalb des "V"s stilisierter Schmetterling als "Brücke".
  • Umfang: C,D,E,F–c3 = 4 Oktaven bei Berücksichtigung/Stimmung einer "Kurzen Oktave" (s.u.)
  • Untertastenbelag (auffallend dick) Elfenbein, geteilter Belag; kunsthandwerklich auffällig aufwändig gestaltete Vordertastenplättchen; Obertasten Ebenholz
  • klappbares, zweigeteiltes Notenpult, das sich mit zwei Stützen an der Dockenleiste abstützt (ähnliche Lösung wie beim zeitgleich im Handel befindlichen Neupert-Spinett Modell "Silbermann")
  • Instrumenten-Deckel zweigeteilt, am Korpus mit außen liegenden überwurfscharnieren befestigt, mit anhängender Tastenvorderklappe, mit losem Stab aufstellbar
  • Disposition: 8', 2', Laute auf 8' (Fußangaben links auf hölzernen Registerrechen)
  • Registerrechen für 8' vorne, zupft nach links; dahinter Registerrechen für 2', zupft nach rechts.
  • Bezug: ausschließlich nicht umsponnene Messingsaiten (d.h. Verzicht auf umsponnene Saiten im Bass); vereinzelt Stahlsaiten, diese zudem unfachmännisch aufgezogen.
  • ausgebleite Holzspringer mit Holzzungen und Lederbekielung; in Holz gefasste, regulierbare Fähnchen-Dämpfung (Filz) am Springer (auffällig: Diskant des 2' ohne Dämpfung - ähnelt damit dem Usus im Klavierbau!); Holzrechen für die Registerzüge; eine zweite Führung für die Springer befindet sich auf der Klaviatur-Schublade [mit Ziffern "5" und "V"], so dass diese nur nach Entnahme aller Springer aus dem Instrument zu entfernen ist.
  • Schaltung mit Handschiebern (kein Pedal) an den Korpusinnenwänden im Klaviaturraum: links für 8', rechts für 2'.
  • historische Bauweise (also keine Rastenbauweise); gerippter Resonanzboden
  • geschlossener Unterboden (Unterbodenplatte geschraubt); Schallöffnung (ohne Rosette) im Resonanzboden
  • nach Klavierbauerart am Resonanzboden von unten angeschraubte Klangstege.

Kurzbeschreibung: Eines von [mindestens?] "elf Kopien nach dem in Den Haag befindlichen kleinen Cembalo von Andreas Ruckers, 1627" (Friedrich Ernst, Band "Kabeler Kammermusik" Sammlung Uta Hoesch, Hagen, s.u., Literaturschau); sehr kleines, sehr leichtes, zugleich wohlproportioniertes einmanualiges Cembalo in "Mischbauweise", die überwiegend historische Elemente (z.B. geschlossener Unterboden) mit wenigen Errungenschaften moderner Klavierbauerkunst paart. Sehr saubere instrumentenbauhandwerkliche Arbeit mit zusätzlichem kunsthandwerklichem Anspruch [Untergestell]; einzige Auffälligkeit: In den Stimmstock wurden die Wirbellöcher zunächst wohl falsch gebohrt [Aufriss für Wirbelreihen für zwei Register, davon ca. 12 Löcher in unregelmäßiger Folge gebohrt], dann wurde der Stimmstock gewendet und ein zweites, endgültiges Mal eingebaut.) Auch stilistisch paaren sich Elemente des Frühbarocks (Tastenfronten) mit solchen des frühen 20. Jahrhunderts (geschnitzte Schmetterlinge in den Beinen des Untergestells).

Das Instrument ist in seiner Bauart "historischer" als die Kielinstrumente der in jener Zeit in stetig steigenden Stückzahlen produzierenden Großhersteller J. C. Neupert [Bamberg/Nürnberg], Maendler-Schramm [München] und wohl auch Ammer [Eisenberg]. Der Cembalist Fritz Neumeyer, ebenfalls im Umfeld von Hans Hoesch ["Kabeler Konzerte", "Scheck/Wenzinger-Kreis"] tätig, versuchte damals Einfluss zu nehmen etwa auf die Fertigung bei J. C. Neupert, um dem historischen Cembalo-Klangbild näher zu kommen.

Kleincembalo Hans Hoesch 1935; Foto: Christoph Dohr Kleincembalo Hans Hoesch 1935; Foto: Christoph Dohr
Kleincembalo Hans Hoesch 1935; Foto: Christoph Dohr

Bild links: Aufsicht bei abgenommener Dockenleiste; vorne [= unten im Bild] Wirbel für 8'-Bezug, dann 2'-Steg, dahinter Lautenzug mit Schieber links an Korpus-Innenwand [Dämpfer für erste Saite fehlt]; geschraubte Anschlagsbegrenzung; dahinter Wirbel für 2'-Bezug, dann 2'-Steg, dann Registerrechen für 8' (Schaltung links; Schalttiefe durch Pilotenschraube regulierbar) und 2' (Schaltung rechts im Diskant, hier nicht sichtbar); Bild rechts oben: Springerreihen bei abgenommener Dockenleiste im Diskant: ganz links Steg und Laute für 8'; dann Wirbel und Steg für 2'; dann Springer für 8' mit holzgefassten regulierbaren Dämpferfähnchen, dahinter Springer für 2' ohne Dämpfer; Bild rechts unten: Gestaltung der drei Beine.

Zu bemerken ist, dass der Begriff der "Kopie" im Bereich des Neubaus historischer Musikinstrumente bis heute einem kontinuierlichen Wandel unterliegt. Fest steht lediglich, dass der Begriff "Kopie" in Gegensatz zur "Eigenentwicklung", die in der Regel zusätzlich patentgeschützt ist, steht ["herausragendes" Beispiel in der Sammlung Dohr: zweimanualiges Cembalo Modell "Cristofori" J. C. Neupert #18786 (Bamberg/Nürnberg 1956)]. War es in der Anfangszeit selbstverständlich und offensichtlich, dass eine "Kopie" wohl dosiert historische Originalvorlage mit moderner Klavierbauerkunst mischte, so ist dieser "Mischvorgang" heute zwar immer noch tägliche Praxis, seine Erwähnung aber nicht mehr opportun.

Werkstatt: Hans Hoesch betrieb in Ergänzung seiner Sammler- und Konzerttätigkeit in den 1930er-Jahren eine eigene Instrumenten-Werkstatt, die neben Restaurierungen der Original-Instrumente seiner Sammlung auch Kopien ausgewählter historischer Originale für den eigenen Bedarf und einen engeren Freundeskreis fertigte. Die Abteilung Tasteninstrumente mit fünf angestellten Handwerkern wurde von Friedrich Ernst [1897-1976] geleitet. Friedrich Ernst, gelernter Klavierbauer, war im Anschluss an seine Tätigkeit in der Werkstatt von Hoesch in den Musikinstrumenten-Museen in Leipzig [1937-1948] und Berlin [1948-1962] als Restaurator tätig und gilt bis heute als Kapazität, die Handwerk und Wissenschaftlichkeit zusammenzuführen wusste. Hoesch war dabei nicht selbst als Handwerker tätig, führte aber die Korrespondenz, war häufig in der Werkstatt anwesend und signierte die Instrumente aus seiner Werkstatt persönlich - wenn auch dezent und in diesem Falle an fast unzugänglicher Stelle. Die Fertigungsqualität belegt das herausragende Wirken eines versierten, erfahrenen Klavierbauers.

Literaturschau: Werkstattleiter Friedrich Ernst [zitiert nach Gutknecht 1993, S. 199] berichtet: "Als erstes wurde ein großes zweimanualiges Cembalo (Modell Steingraeber) fertig. Als nächstes bauten wir elf Kopien nach dem in Den Haag befindlichen kleinen Cembalo von Andreas Ruckers." Zur Intention und Gründung der Werkstatt siehe die Darstellung bei Hoeschs Tafelklavier-Kopie.

Provenienz: Erstbesitz Frau Käthi H. Köppern geb. Simons (26.03.1864-xx.xx.1941), Bonn-Friesdorf; nach ihrem Tod weiter im Familienbesitz; Februar 2011 Schenkung an die Sammlung Dohr / Pianomuseum "Haus Eller", auf Vermittlung von Rolf Hennig-Scheifes.

Restaurierung: März/April 2021 durch die Werkstatt Jan Großbach, Frankfurt-Höchst.

Schema Tastenbelegung Kurze Oktave
  • Schema der Tastenbelegung einer "Kurzen Oktave",
  • Die "Kurze Oktave" war im Tasteninstrumentenbau des 16. und 17. Jahrhunderts in ganz Europa die Regel; in Italien und österreich hielt sie sich bis ins 18., im Orgelbau sogar ins 19. Jahrhundert.
  • Es handelt sich um eine besondere Anordnung der Tasten der tiefsten Oktave, in der man die vier Halbtöne Cis, Dis, Fis und Gis wegließ, weil sie in der damaligen Musik kaum verwendet wurden. Deshalb sparte man sich die Herstellung.
  • vgl. in der Sammlung Dohr das Tafelklavier Zumpe & Buntebart (Tafelklaviere/1771), bei dem noch 1771 Fis1 ausgelassen wurde.

Literatur/Quellen:

  • Hans E. Hoesch und die Kabeler Kammermusik. Eine Dokumentation anläßlich der 40. Wiederkehr der Gründung des Hagener Kulturrings, hg. vom Hagener Kulturring e.V., Fritz Werner Körfer. Hagen: Selbstverlag des Kulturrings 1985.
    [Bedeutende Veröffentlichung zu Hans Eberhard Hoesch und seinen Aktivitäten als Sammler, Instrumentenbauer, Konzertveranstalter, Ideengeber, Keimzelle der historisierenden Aufführungspraxis. Viele seltene Fotos, zahlreiche Dokumente; enthält u.a. den Erstdruck des Textes August Wenzinger, Hans Eberhard Hoesch und die Kabeler Kammermusik, darin auf S. 33 die Erwähnung der Anfertigung "eine[s] kleine[n] Cembalo[s] nach einem Instrument von Ruckers aus dem Jahr 1627"].
  • Dieter Gutknecht, Kabeler Kammermusik und Hans Eberhard Hoesch, in: ders., Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik. Ein überblick vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. Köln: Concerto Verlag 1993, S. 194-202.
  • Dieter Gutknecht, Musikwissenschaft und Aufführungspraxis, in: Hartmut Krones (Hg.): Alte Musik und Musikpaedagogik. Wien: Boehlau 1997, S. 199-222, bes. S. 218;
  • Dieter Gutknecht, Studien zur Geschichte der Aufführungspraxis Alter Musik. Ein überblick vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Zweiten Weltkrieg. 2. Aufl. Köln: Concerto-Verlag 1997, S. 137 f.
  • "Auch innerhalb Deutschlands wurde das Musizieren auf alten Instrumenten [...] von etlichen passionierten Sammlern, oft musikbegeisterten Industriellen, amateurhaft gepflegt: Georg Heyer in Köln, Paul de Wit in Leipzig, Hans Hoesch in Hagen, Wilhelm Rück und seine Söhne Hans und Ulrich in Nürnberg, um nur die wichtigsten in Deutschland zu nennen. Diese Sammler hatten ihre hochgeschätzten Reparateure, Hermann Seyffarth, Arthur Voss, Otto Marx [1871-1964] und später Friedrich Ernst, die zu den Gründervätern des modernen Restaurierwesens in diesem Metier wurden." Zitat aus: Klaus Martius: "Seid aus eurer Leidenschaft und nehmt euch nicht zu viel aus alten Epochen, denen ihr nicht gewachsen seid!" Peter Harlan als Restaurator alter Musikinstrumente. in: Concerto. Das Magazin für Alte Musik, Heft Nr. 221, August/September 2008, S. 23-28;
  • Annette Otterstedt, Friedrich Ernst und seine Kartei. Ein Pionier der Restaurierung von Musikinstrumenten. in: VDR - Beiträge zur Erhaltung von Kunst- und Kulturgut. Heft 1+2/2007.
  • weitere Literatur zu H. E. Hoesch bei bei Hoeschs Tafelklavier-Kopie und beim Pleyel-Cembalo aus seiner Sammlung.

Telefonat mit Prof. Dr. Dieter Gutknecht, Köln, 28. Februar 2011: bezeichnet die mit fünf Klavierbauern besetzte Werkstatt von Hoesch als in den 1930er-Jahren "florierend"; Korrespondenz mit den Vorbesitzern.